The Spirit of England, op. 80


Im Juli 1914 begann der erste Weltkrieg. Ganz Europa hatte vorab in einer schwülen, kriegsvorbereitenden Atmosphäre gebrütet und der Mord am österreichischen Kronprinzen Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 lieferte den entscheidenden Funken.

Am 17. August tat Edward Elgar, was er für seine Pflicht als Brite hielt, und schrieb sich in Hampstead als „staff inspector“ beim „Special Constabulary“ ein, um seinen Beitrag zur Verteidigung der Nation zu leisten.

Auch auf Ebene der Musik beschäftigte sich Elgar mit dem Kriegsgeschehen. So vertonte der das Gedicht „Après Anvers“ des belgischen Dichters Emile Cammaerts, das bei Elgar „Carillon“ hieß und in Großbritannien ein schneller, umfassender Erfolg wurde.

Bald darauf legte Sidney Colvin, der der Sammlung von Drucken und Zeichnungen im British Museum vorstand, Elgar nahe, er möge doch ein Requiem für die Gefallenen komponieren und zwar im Geistes des Gedichtes „For the Fallen“ des britischen Dichters Binyon. Elgar wählte drei Texte - darunter „For the Fallen“ - aus, erfuhr jedoch, dass C.B.Rootham, ein Schüler seines „Widersachers“ Stanford, das Gedicht ebenfalls vertonte. Elgar trat von seinem Ansinnen zurück und es bedurfte eines großen Maßes an Überredungskunst, um ihn zum Weitermachen zu bewegen. Die Komposition, die Elgar „The Spirit of England“ nannte, ging dann aber gut voran, sodass bereits im Frühjahr 1915 umfangreiche Skizzen entstanden waren. Das einzige, was fehlte, war ein Ansatz für die im ersten Text „The Fourth of July“ zu findende Strophe:

„She fights the fraud that feeds desire on
Lies, in a lust to enslave or kill,
The barren creed of blood and iron,
Vampire of Europe’s wasted will…"

Elgar lag diese Strophe nicht, da sie Deutschland gleichsam als durch und durch böse charakterisierte. Elgar war jedoch mit einer Reihe von Deutschstämmigen und Deutschen befreundet und dementsprechend konnte und wollte er eine derartige Zeichnung nicht vorbehaltlos unterstützen. Schließlich hatte auch seine Musik in Deutschland Erfolg gehabt, war von deutschen Komponisten und Dirigenten gerühmt, verteidigt und (ur)aufgeführt worden.

Er erst ab dem 30 März 1916, nachdem der Kriegsverlauf und die Schrecken des Stellungskrieges und der Materialschlachten ihn gänzlich desillusioniert hatten. Er stellt die Orchestrierung am 11. Mail 1917 fertig und schreibt wenig später an Ernest Newman:

„Two years ago I held over a section hoping that some trace of manly spirit would show itself in the direction of German affairs; that hope is gone forever & the Hun is branded as less than a beast for very many generations.” (Michael Kennedy im Beiheft zur Aufnahme „The Spirit of England“ LSO/Hickox, EMI 1988. 3)

Das Triptychon „The Spirit of England“, bestehend aus den drei Texten „The Fourth of July“, „To Women“ und „For the Fallen“, war damit beendet. Schon vor der endgültigen Fertigstellung des dritten waren die vollendeten beiden Teile mehrfach aufgeführt und von der Kritik mit Lob bedacht worden, ja, der Kritiker Percy Scholes fühlte sich zu der Aussage hingerissen, dass „wenn das Land einen „Musikerfürsten“ hätte, der Ölzweig Elgar angetragen werden müsse. Denn er ist der Musiker, zu dem wir uns in Zeiten nationalen Gefühls wenden können, um uns jene musikalische Ausdrucksmöglichkeit zu geben, nach der unsere Seele dürstet.“ (zit. n. Kennedy, Michael: „The life of Elgar“. Cambridge 2004. 146, Übersetzung: der Verfasser)

Das Werk ist in Deutschland kaum bekannt, ich habe es auch noch nie auf einem Konzertprogramm gesehen. Vielleicht ist es seine Historizität, die dies lange problematisch machte und es somit in Deutschland in Vergessenheit geraten ließ. Denn an musikalischer Qualität mangelt es ihm nicht.

So ist der erste Satz „The Fourth of July“ (Tag der britischen Mobilmachung) ein durch und durch hymnischer Gesang, der den „Spirit of England“ heraufbeschwört, ja fast möchte man meinen, Elgar komponiert hier die Welle der Kriegsbegeisterung aus, die in den ersten Wochen nach der Julikrise Europa durchflutete, doch ist es so eindimensional nicht, besonders wenn man den durch und durch tragischen Ton der Schlussstrophe hört, die auf das durch den Krieg entstehende Leid abhebt.

Deutlich düsterer zeigt sich dann auch der sich anschließende Satz „To Women“, der sich mit der sehr schwierigen Lage der Frauen der im Kampf stehenden Soldaten befasst. Großartig gelingt es Elgar den zwischen Trauer, Furcht, Stolz, Unbeugsamkeit und Hoffnung changierenden Text umzusetzen, ohne große Effekte, ohne kriegerisches Tschingerassabum, ohne falsches Pathos, stattdessen mit nobler Haltung.

Im gleichen Ton schließt sich das „Requiem für die Gefallenen“ an, das Colvin vorgeschewebt hat: „For the Fallen“:

„With proud thanksgiving, a mother for her children,
England mourns for her dead across the sea.”

Das erinnert von ferne an den Ton, den Reger in seinem “Requiem op. 144b: Seele, vergiss nicht die Toten” anstimmt, das nur wenig früher entstand. Da schmeckt es erst nach Böcklinscher Toteninsel, dann aber schlägt die Stimmung dort wo Textdichter Binyon schreibt

„There is music in the midst of desolation
And a glory that shines upon our tears”

in Verklärung um.

Anschließend kommt es zu einer Beschreibung des Schlachtgeschehens. Elgar bedient sich stilistisch bei seinem größten Erfolg dem „Gerontius“, und zwar bei der großen „Demons“-Passage, um das Grauen des Schlachtgeschehens zu unterstreichen.

Am Ende aber steht dann schließlich wieder die Verklärung der (englischen) Gefallenen:

„As the stars that shall be bright when we are dust,
Moving in marches upon the heavenly plain,
As the stars that are starry in the time of our darkness,
To the end, to the end, they remain.”