The Light of Life, op. 29


Im Frühling des Jahre 1895 spielte Elgar - wie sich für englischen Gentleman ab und zu gehört - Golf. Sein Partner war Reverend Thomas Littleton Wheeler, seines Zeichens Vorsitzender der Worcester-Abteilung des "Three Choirs Festival". Während man sich über Handicaps, den rechten Driver und die Schönheit der Landschaft unterhielt, legte Littleton Wheeler dem aufstrebenden Jungkomponisten nahe, ein Werk zum im Folgejahr in Worcester stattfindenden Festival beizusteuern.

Daraufhin nahm Elgar Kontakt mit seinem Musikfreund Reverend Edward Capel Cure auf und bat ihn um Ideen für ein geistliches Oratorium. Capel Cure lieferte umgehend drei Vorschläge. Elgar entschied sich für die im Johannesevangelium erzählte Geschichte von der Blindenheilung in Siloah. Capel Cure war angetan von Elgars Entscheidung, begann die Arbeit am Libretto und schlug vor, das Werk "Lux Christi" zu nennen. Elgar war einverstanden. Im Sommer erreichte ihn Capel Cures fertiggestelltes Libretto in Garmisch, wo er mit seiner Frau den Sommer verbrachte. Er nutzte die Zeit und machte erste Skizzen.

Bei seiner Rückkehr nach England wartete auf Elgar (immer noch) die Anfrage für ein großes Chorwerk für das North Staffordshire Festival. Elgar teilte dem Gründer des Festivals Dr. Charles Swinnerton Heap mit, er habe sich dazu entschlossen, die "Scenes from the Saga of King Olaf" nach Longfellow in Musik zu setzen und machte sich umgehend an die Ausarbeitung der Komposition.

Er stellte den Klavierauszug am 21. Februar 1896 fertig und wandte sich daraufhin sofort der weiteren Komposition des "Lux Christi" zu, nachdem er in einem Arbeitstreffen mit Capel Cure noch einmal das Libretto durchgegangen war, um einige Änderungen vorzunehmen.

Doch andere Arbeiten lenkten ihn ab. Er musste die Fahnen für die bei Breitkopf & Härtel verlegte Orgelsonate korrigieren und es galt ebenfalls die "Songs from the Bavarian Highlands" zu orchestrieren. So begann Elgar erst am 6. April 1896 die ernsthafte Ausarbeitung des Klavierauszuges von "Lux Christi".

In den nächsten Wochen hatte Elgar eine Reihe von Problemen mit seinem Verleger Novello, die zwar im wesentlichen den "King Olaf" betrafen, aber schließlich dazu führten - und das ist für Elgars Karriere ein entscheidender Moment -, dass man ihm einen anderen Mitarbeiter zuordnete, und zwar den jungen deutschstämmigen August Jaeger (den späteren "Nimrod" der "Enigma-Variatons") mit dem Elgar fortan eine enge Freundschaft verbinden sollte.
Allerdings war man zunächst auch mit "Lux Christi" nicht ganz zufrieden. Der Titel schien dem Verlag für ein Oratorium, dessen Aufführungsort eine anglikanische Kathedrale sein soll, zu katholisch. Man schlug vor, das Werk stattdessen "The Light of Life" zu nennen. Elgar stimmte zu.

Am 20. Juni 1896 stellte Elgar die Partitur fertig und Anfang September begannen die Proben, bei denen so einflussreiche Personen dabei waren wie Sir Walter Parratt (Master of the Queen's Music) und Alberto Randegger, Dirigent der Queen's Hall Concerts und Leiter des bedeutenden Norwich Festivals. Letzterer zeigte sich laut der "Worcester Daily Times" vom 7. September besonders von Elgars neuester Schöpfung beeindruckt:

"Simon Randegger sagte, nachdem er die erste Probe in London gehört hatte, er sei der Meinung, dies sei das beste Werk eines englischen Komponisten, das seines Wissens nach in den letzten zwanzig Jahren aufgeführt worden sei." [zit. nach Northrop Moore, Jerrold: Elgar. A Creative Life. Oxford 1987. S. 215; Übers. der Verf.]

Am 8. September 1896 erlebte das Werk eine glückliche Uraufführung in Worcester Cathedral. Man war allenthalben angetan. Auch die anwesende Londoner Presse ("The Sunday Times") zeigte sich zufrieden:

"Selten hat ein Griff in die Lotterie der Aufführungen in der Provinz einen Preis gebracht, der so ausgesprochen vielversprechend ist wie Mr. Edward Elgar. Er ist ein Musiker, auf den die Stadt Worcester wahrlich stolz sein darf. [...] Der junge Lehrer aus Malvern hat außergewöhnliches Talent. Er kennt seinen Wagner gut - manchmal vielleicht ein wenig zu gut - und hat seine Erfahrungen als Orchestermusiker trefflich einfließen lassen, was die Überlegenheit seines Orchestersatzes gegenüber den Vokalteilen und die der Chöre gegenüber den solistischen Sätzen erklärt. Aber sein Sinn für Proportionen und Klangfarben sowie seine Handhabung des Effekts sind herausragend. [...] Der beste Satz des Werkes ist der Chor 'Light out of darkness'. Dieser ist so hervorragend, dass ich nicht anders kann als ein wirklich herausragendes Werk von Mr. Elgar zu erwarten, wenn ihm denn einmal ein Libretto vorliegt, das in jeder Hinsicht sein vielversprechendes künstlerisches Temperament anregen kann. Bis dahin wird sein vorliegendes Werk genügen, um ihm eine offene und dankbare Zuhörerschaft in Kreisen zu gewinnen, in denen man seinen Namen bisher nicht einmal kannte." [zit. nach Northrop Moore, Jerrold: Elgar. A Creative Life. Oxford 1987. S. 215 f. Übers. der Verf.]

Trotz aller guten Kritiken: Das Werk wird heute mehr als selten aufgeführt. Tatsächlich ist es eines jener frühen Chorwerke Elgars, die - wie Robin Holloway im Cambridge Companion to Elgar schreibt - durch die CD (es gibt bislang zwei Einspielungen) eher exhumiert wurden, als dass man ihnen (selbst im UK) eine kontinuierliche Aufführungstradition unterstellen könnte.

Tatsächlich hat das Werk eine Reihe von Schwächen. Auf der anderen Seite hört man auch eine ganze Menge von dem, wofür der spätere Elgar geliebt wird. So ist allein die einführende "Meditation" ausgesprochen klangschön und wird bisweilen als Solitär eingespielt/aufgeführt. Sie enthält eine Reihe von Leitmotiven, die das weitere musikalische Geschehen bestimmen. Elgar schafft eine wolkig-sakrale Atmosphäre, die allerdings am Ende nur sehr knapp am Kitsch vorbeischrammt, und die besonders auf die dem "Gerontius" folgenden Oratorien abgefärbt hat. Holloway beschreibt sie etwas bissig wie folgt:

"Locker und doch geschickt zusammengefügt endet die Meditation mit einer gefährlich üppigen Passage warmer Erhebung (die sich religiöser Stimmung à la Liszt bedient und im fünften Takt puren Broadway hinzumischt [...])." (Holloway 2004, p. 67. Übers. der Verf.)

Der sich anschließende Chor der Leviten ("Seek Him that maketh the seven stars and Orion") gehört in seiner warmen Milde zum Schönsten, das sich beim frühen Elgar findet. Beim Rezitativ des Erzählers und dem sich anschließenden Chor ("Who did sin?") indes verlässt Elgar schlagartig die Inspiration. Das ist schlecht gesetzt, holprig komponiert, klingt irgendwie leer und matt, ohne jeden Sinn für die Szene. Dass Elgar das ganz anders kann, belegt nicht nur der von der "Sunday Times" favorisierte Chor "Light out of darkness", sondern auch die spätere Szene, in der der ehemals Blinde vor den Pharisäern Rede und Antwort stehen muss ("This man is not of God, because He keepeth not the Sabbath"). Das ist Mendelssohnsche Chorbehandlung in Reinkultur: dramatisch, szenisch, wuchtig, eindrucksvoll. Eine andere Seltsamkeit ist der Frauenchor ("Doubt not thy Father's care!"), der an volkstümliche Momente bei Dvořák erinnert und in seiner salonhaften Heiterkeit vollkommen am Text vorbeikomponiert zu sein scheint ("Night comes: the soul is dark; / All joy is dead / All gladness fled / And life has miss'd its mark."). Bei den Solosätzen stechen drei hervor, nämlich die Arie der Mutter des Blinden ("Be not extreme, O Lord"), deren großer Aufschwung "Lighten mine eyes, O Lord" eben jene sichere Handhabung des Effektes glänzend vorführt, die der Rezensent der "Sunday Times" bewundert. Daneben ist es natürlich die große Arie des ehemals Blinden "As a spirit didst Thou pass before mine eyes"), deren weicher, harfenumrankter Lyrizismus den Elgar-Biographen Michael Kennedy an Massenet erinnert, dessen Opern Elgar beeinflusst haben mögen:

"Außerdem gab es - und das scheint mir am einflussreichsten zu sein - zu jener Zeit im Covent Garden Aufführungen von Massenets Opern, die Elgar mit ziemlicher Sicherheit besucht haben dürfte, da er, wann immer es möglich war, nach London fuhr, um neue Musik zu hören." (Kennedy, Michael: Begleittext zur Groves-Einspielung. EMI 1981. Übers. der. Verf.).

Schließlich ist das kurze Alt-Solo "Thou only hast the words of life!" erwähnenswert, weil sich in den Schlusszeilen ("So make a silence in my soul") schon der sanfte und warme Klang des Engels im "Gerontius" ankündigt. Überraschenderweise sind es die beiden Jesus zugedachten Arien, die so gut wie gar nicht angreifen. Die erste ("Neither hath this man sinned") wirkt ausnehmend hölzern. Die dem Schlusschor vorangestellte Arie "I am the Good Shepherd" berührt nicht. Erst die herrliche Cello-Kantilene, die die letzten Takte in bestem Elgar'schen "Nobilmente" einläutet (direkt vor "Father, I will that they be with me") stimmt versöhnlich. Der solide entworfene Schlusschor - den Elgar vielleicht nicht mit Trompetenfanfaren hätte schmücken müssen - beendet ein Werk, das zwar einen gemischten Eindruck hinterlässt, aber auch einer jener von Holloway so bezeichneten "Meilensteine auf dem Weg eines Komponisten zum Höhepunkt seiner Fähigkeiten" ist.

 

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(c) Wolfgang-Armin Rittmeier