Pomp and Circumstance - Military Marches, op. 39

Die Werkgruppe „Pomp and Circumstance“ op. 39 ist nicht in einem Rutsch entstanden, auch wenn dies anscheinend ursprünglich der Plan gewesen war. Im Jahre 1901 entstanden die ersten beiden Märsche (in D-Dur und in a-Moll), der dritte folgte 1904, der vierte 1907 und der fünfte schließlich 1930. Zu einem sechsten Marsch hat sich Elgar zwar Skizzen gemacht, die Komposition aber nicht weiterverfolgt.

Elgar reiht sich mit der Komposition dieser Märsche (und der wenigen anderen, die er außerdem noch komponiert hat) in eine musikalische Tradition ein, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf eine nicht unerhebliche Historie zurückblicken könnte. Tatsächlich handelt es sich bei dem Marsch um eine der populärsten Formen der Musikgeschichte. Ab etwa der Mitte des 19.Jahrhunderts hatte sich die Form des Konzertmarsches als Gelegenheitskomposition „meist feierlicher Haltung“[2] herausgebildet, der dann auch eifrig bedient wurde. Unter anderem (und das sollte nicht vergessen werden) eben auch von Elgar.  Elgars „Military Marsches“ sind sogenannte Quickmarches (also „Geschwindmarsch“). Es gibt keine verbindliche Form, meist aber folgt der Marsch einer dreiteiligen Struktur (A-B-A), die auch bei Elgar zugrunde liegt. Diese Struktur kann (z.B. durch die weitere Wiederholung der Einzelabschnitte variiert werden.

 

Märsche Nr. 1 D-Dur und Nr. 2 a-Moll (1901)

Es ist wohl insbesondere der erste Marsch den viele Hörerinnen und Hörer mit dem Titel „Pomp an Circumstance“ verbinden. Dies hat seinen Grund selbstverständlich in der Melodie des Trios, zu dem später der Text „Land of Hope and Glory…“ hinzugedichtet wurde (dazu mehr bei Gelegenheit in seinem separaten Faden). Elgar war sich bewusst, dass er eine Melodie von enormer Eingängigkeit geschaffen hatte, eine, die so richtig ins Ohr geht, egal, ob man musikalisch sonderlich affin ist oder eben nicht. Es war „eine Melodie, wie sie einem nur einmal im Leben einfällt“[3].

Dementsprechend reagierte das Publikum. Schon die Erstaufführung am 19. Oktober 1901 war ein Erfolg gewesen, auch wenn der Rezensent der „Liverpool Daily Post“ ziemlich daran herumkrittelte. Zugeben musste er aber, dass seine Mäkelei „offensichtlich nicht die Meinung des Publikums [widerspiegele], das dem Marsch enthusiastisch applaudierte.“[4] Dies war aber nichts gegen die Reaktion, die der Marsch wenige Tage später bei seiner Aufführung im Rahmen der Londoner Promenadenkonzerte auslöste. Dirigent Sir Henry Wood schildert das Ereignis in seinen Memoiren:

„Ich werde niemals die Szene vergessen, die sich am Ende des ersten den beiden abspielte – dem in D-Dur. Die Leute standen einfach auf und schrien. Ich musste ihn noch einmal spielen – mit demselben Resultat. Tatsächlich ließen sie mich nicht mit dem Programm fortfahren. Mit beträchtlicher Verspätung – und während das Publikum noch tobte – trat ich ab und holte Harry Dearth, der ‚Hiawathas Vision‘ (Coleridge-Taylor) singen sollte. Aber sie wollten es nicht hören. Um die Ordnung wiederherzustellen, spielte ich den Marsch schließlich noch ein drittes Mal. Und das war, wenn ich dies sagen darf, das einzige Mal in der Geschichte der Promenadenkonzerte, dass einem Orchesterwerk die Ehre einer doppelten Wiederholung zuteilwurde.“[5]  Fortan war der Marsch Elgars Visitenkarte, ob er wollte oder nicht (und er wollte nicht immer…). Allerdings gab es auch einen, dem der andere Marsch, der an diesem Abend gegeben wurde (nämlich der zweite in a-Moll), besser gefiel als sein spektakuläres Pendant. Es war Charles Villiers Stanford. Am 22.11. berichtet er Elgar seinen Eindruck. Da Wood in dem Konzert den zweiten Marsch zuerst und dann erst den D-Dur-Marsch spielen ließ, ist Stanfords Bezifferung genau umgekehrt zu verstehen:

„Ich war oben auf der Galerie und musste erkennen, dass ich die Minorität darstellte, die Nr. 1 besser fand als Nr. 2 – wofür Sie mich verfluchen können wie sie wollen (oder auch nicht). Wie dem auch sei: die Öffentlichkeit mochte den anderen lieber: […]. Letztlich schlugen beide ein wie Kometen und sie sind beide enorm gutes Zeug.“[6]

Der erste Marsch gießt gewissermaßen exemplarisch jenen Zeitgeist in Töne, der im Englischen „Swagger“ heißt:

„Swagger war der dominierende Stil der Epoche, und zwar nicht nur bezogen auf die Malerei. Jene Mischung aus Opulenz, Arroganz und Ausschmückung und deren Fähigkeit zur Verführung erklärt warum unsere Vorstellungen jener Zeit zwischen 1880 und 1914 noch immer so viel stärker im Mythos wurzeln als in der Realität. Swagger reflektiert den Aufstieg zur imperialen Macht und den Effekt den dies auf die britische Psyche hatte. Dies wurde schon bei den Feierlichkeiten zu Queen Victorias Golden Jubilee im Jahre 1887 deutlich, wurde aber anlässlich der Feierlichkeiten 1897 und schließlich zur Krönung von König Edward VII noch ungleich deutlicher. Swagger ergriff die Wohlhabenden, für die eine geschmackvolle Zurschaustellung de rigueur wurde. Er brachte das selbstbewusste Portrait hervor, formte die Mode der begüterten Klassen, beeinflusste die Architektur und die Musik der zeitgenössischen Komponisten, inspirierte alltägliches Design und dominierte den persönlichen Stil von Edward VII und George V.“[7]

Über den Beginn hat sich Elgar besonders amüsiert, weil er hier ist einer seiner geliebten „japes“ („Streiche“) untergebracht hat: der D-Dur-Marsch fängt im entfernten Es-Dur an.

Der zweite Marsch in a-Moll wirkt deutlich anders. Weniger Glanz, der schlagartige Einstieg nachgerade ernst, dann nervöse Streicherfiguren. Im Anschluss entschlossener, vehementer im Ausdruck als der erste Marsch, der im Grunde vom ersten Ton an freudig-erregt nach vorne drängt. Es folgt ein Staccato-Thema im Holz, das so klingt als würde sich einer ein (Soldaten-)Liedchen pfeifen. Ein „big tune“, wie ihn das Trio des ersten Marsches bietet, fehlt.


Marsch Nr. 3 c-Moll (1904)

Am 20.11.1904 schrieb Alice Elgar in ihr Tagebuch: „Schöner Tag – […] E. hat Pomp & Circumstance Nr. 3 abgeschlossen.“[8] Am darauffolgenden Tag fuhr Sir Edward (denn so durfte er sich seit dem 5r. Juli des Jahres nennen) nach London und brachte ihn zu Boosey & Hawkes, die ihm 50 Pfund[9] zahlten und Tantiemen auf jegliche Arrangements mit ihm vereinbarten. Die Uraufführung fand am  8. März 1905 statt. Auf dem Programm stand neben dem Marsch auch noch die Streicherkomposition „Introduction and Allegro“, die wohl insgesamt nicht so gut ankam.[10] In seinem Charakter unterscheidet sich dieser Marsch deutlich von seinen. Er beginnt dunkel in den Holzbläsern und Hörnern, dazu schlägt die Trommel. Die Streicher schrummeln ein galoppierendes Motiv dazu. dazu. Dann ein heftiger Ausbruch, dann wieder ein Rückfall ins dunkel Brütende. Ein nochmaliger Ausbruch führt zu einem abrupten Ende der ersten Episode. Insgesamt wirkt das sehr zerklüftet. Das Trio stellt zwei versöhnliche Themen vor und man glaubt, es müsste sich ein „big tune“ entwickeln, aber dieser kommt nicht. Stattdessen endet die Episode und es stellt sich wieder die wilde Atmosphäre des Anfangs ein. Dann tauchen die beiden Themen des Trios wieder auf und werden ungleich gewichtiger ausgeführt als in den vorherigen Märschen. Doch der feierliche Höhepunkt wird nicht erreicht, stattdessen kehrt das noch einmal gesteigerte wilde Element des ersten Abschnittes zurück, bevor der Marsch gewissermaßen ruckartig endet. Lady Elgar war (wie immer) von „Edoos“ Schöpfung hingerissen. Ihre (lächerliche) Einschätzung der Reaktionen bei der Erstaufführung des Werkes schreibt sie an August Jäger. Hier wird deutlich, wer im Hause Elgar tatsächlich überzeugter Imperialist war: „Der neue Marsch ist aufregend – unsere pazifistischen Freunde waren sofort kampfbereit!"[11]


Marsch Nr. 4 G-Dur (1907)

Der vierte Marsch ist vielleicht der emotional ausgeglichenste der Werkgruppe. Die erste Episode hat einen unwiderstehlichen Drive, ist aber nicht so wild-überschäumend wie die des ersten Marsches. Das klingt alles beschwingt, ja streckenweise sogar „swinging“. Und die Melodie, die Elgar als Thema des Trios vorstellte, ist im Grunde von derselben Qualität, wie die des ersten Marsches. Kein Wunder also, dass auch hierauf Texte gedichtet wurden, beispielsweise von seiner Gattin, die mit „The King’s Way“ sehr dürre Zeilen lieferte. Elgar hatte den Marsch am 07. Juni 1907, also fünf Tage nach seinem 50. Geburtstag, vervollständigt. Am 24. August des Jahres fand unter der Leitung von Sir Henry Wood die Uraufführung in der Queen’s Hall statt. In der Musical Times war dann am 01. September zu lesen: „Das Werk ist in seiner Gesamtheit eine erwähnenswerte Ergänzung zu der Serie und es wird wahrscheinlich populär werden. Trotz des begeisterten Applauses versagte Mr. Wood dem Publikum eine Wiederholung.“[12] Wieder war es Jaeger, dem sie – wie schon hinsichtlich des dritten Marsches – ihre kämpferischen Emotionen mitteilte: „Nun orchestrierte er einen weiteren Pomp and Circumstance Marsch, einen herrlichen, einen, der jeden Funken kriegerischen Feuers erregen kann.“[13] Sie konnte die Tochter des Major-Generals einfach nicht verheimlichen.


Marsch Nr. 5 (1930)

Es sollte 23 Jahre dauern, bis Elgar die Arbeit am fünften Marsch der Werkgruppe in Angriff nahm. Viel war in der Zwischenzeit passiert. Der Erste Weltkrieg hatte Europa verwüstet, das Empire beendet, die Spanische Grippe hatte gewütet, Charles Lindbergh war über den Atlantik geflogen, die Weimarer Republik schwankte vor sich hin, Hitler stieg auf, das Penicillin wurde entdeckt, der „schwarze Freitag“ stürzte die Welt in eine Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes und vieles, vieles mehr. Elgar Leben hatte sich ebenfalls radikal verändert. Er hatte Amerika gesehen, die Ereignisse des Ersten Weltkrieges hatten ihn in eine Depression geworfen, sein Stern hatte begonnen zu sinken, seine Frau war gestorben, so auch Geschwister, seine Tochter hatte geheiratet, er hatte eine mysteriöse Reise den Amazonas hinauf gemacht und angefangen, seine Werke auf Schallplatte einzuspielen. Doch der Marsch, klingt gerade so. als wäre in der Zwischenzeit nichts passiert. Die Themen des ersten Abschnittes klingen ausgesprochen positiv und gut gelaunt, brillant, das Trio hat einen edlen, aber auch etwas nostalgischen Tonfall, das Ende ist glanzvoll. Dass Elgar nach dem Cellokonzert noch einmal ein solch vermeintlich rückwärtsgewandtes Stück komponiert hat – bei aller Freude, die man an seinem Cislaweng haben kann – mag irritieren. Stumpfsinnig wäre wohl die Deutung, dass der alte Viktorianer Sir Edward in der Zwischenzeit so gar nichts dazugelernt hätte und einfach „ein hurrappatriotischer Imperialist“ geblieben sei. Dagegen spricht aber das Werk, dagegen sprechen so ziemlich alle Dokumente, die überliefert sind. Der Anlass zu Entstehung ist ein eher prosaischer. Elgar erfüllte mit der Komposition des Marsches den Wunsch seines alten Freundes und Weggefährten Sir Percy Clarke Hull, der Organist an Hereford Cathedral war. In seinem Buch „The Elgar-Atkins-Friendship“, dass sich mit der ebenso langjährigen engen Freundschaft seines Vaters Sir Ivor Atkins (Organist an Worcester Cathedral) mit Elgar beschäftigt, berichtet Atkins‘ Sohn (und Elgars Patensohn) Wulstan von jenem Tag, an dem Elgar Atkins erzählte, wie es zur Entstehung des Marsches kam: „‘Du weißt, wie oft P.C. [= Percy Clarke] versucht hat, mich dahingehend zu überreden, einen neuen Pomp and Circumstance Marsch zu schreiben. Nun, während ich neulich mit den Hunden unterwegs war, fiel mir plötzlich ein Thema ein. Ich habe es auf die Rückseite einer Landkarte gekritzelt, die ich bei mir hatte und habe ein paar Ideen dazu, wie man es ausarbeiten kann, und zwar als einen weiteren Marsch.‘“[14]Die Ordnance Survey Map der Gegend ist – inklusive der Kritzelei Elgars – erhalten. Der musikalische Einfall indes ist nicht ganz neu. Er lässt sich auf eine fünfzig Jahre ältere Idee zurückführen.[15]

Elgar komponierte also für seinen Freund „P.C.“ einen P&C-Marsch und er entschied sich dafür, diesen so zu gestalten, wie der Freund ihn sich vorstellte und wie er in die Reihe der anderen Märsche passte. Natürlich bediente er sich dafür stilistischer Mittel, die er an sich schon abgelegt hatte. Hier einen Ausdruck einer fortwährenden politischen Einstellung heraushören zu wollen, erscheint mir darum als eher abwegig. Am 02.09.1930 schrieb Elgar an Hull: „Das ist noch eine Kleinigkeit, von der er mich ärgert, dass sich sie jetzt auf diesem Wege erwähnen muss. Ich wollte Dich fragen, ob Du es mir gestatten würdest, Dir den neuen Pomp an Circumstance zu widmen. Ich wollte Dich zudem fragen, wie – solltest Du die Widmung annehmen – diese lauten soll. Allerdings musste ich die Korrekturbögen zurückschicken, bevor ich Dich konsultieren konnte. Also habe ich es wie folgt gemacht: ‚Meinem Freund Dr. Percy C. Hull Hereford`‘. Ist das in Ordnung?“[16] Wie glücklich Elgar seinen alten Freund gemacht hatte, berichtet Moore: „Hull war entzückt (und seine Freude war immer noch in seinem Gesicht und in seiner Stimme, als er mir etwa 30 Jahre später davon berichtete.“[17] Der Marsch wurde am 20.09.1930 unter der Leitung von Sir Henry Wood der Öffentlichkeit vorgestellte. Zwei Tage zuvor aber hatte Elgar ihn bereits im Tonstudio uraufgeführt und eingespielt.[18]


(c) Wolfgang-Armin Rittmeier


[1] Siehe hierzu: Kent, Christopher: Circumstantial Evidence. In: The Musical Times, Vol. 138, No. 1854. 1997. S. 22. (Alle Übersetzungen vom Verfasser.)

[2] Nick, Edmund: Marsch. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart (MGG) Bd. 8. München 1989. S. 1678.

[3] Die Phrase wird immer wieder zitiert, aber nie belegt. Beispielsweise in Moore 1984, S. 339.

[4] Bird, Martin (Hrsg.): Edward Elgar: Collected Correspondence. Series V. Vol. 2: Road to Recognition. Diaries 1897-1901. Rickmansworth 2015. S. 374. (Übersetzung: der Verfasser; im Weiteren Bird 2015)

[5] Wood, Henry: My Life of Music. London 1946. S. 154.

[6] Moore 2012, S. 120 f.

[7] Heffer, Simon: The Age of Decadence. Britain from 1880 to 1914. London 2017. S. 1 f.

[8] Bird, Martin (Hrsg.): Edward Elgar: Collected Correspondence. Series V. Vol. 3: The Path to Knighthood. Diaries 1902-1904. Rickmansworth 2016. S. 374. (Übersetzung: der Verfasser; im Weiteren Bird 2016)

[9] Dies entspricht heute etwa 4.000 Pfund.

[10] Vgl. Kennedy, Michael: The Life of Elgar. Cambridge 2004. S. 99.

[11] Brief an August Jaeger vom 28.03.1905. Zit n. Moore, S. 457.

[12] Bird, Martin (Hrsg.): Edward Elgar: Collected Correspondence. Series V. Vol. 4: The Wanderer. Diaries 1905-1907. Rickmansworth 2018. S. 374. (Übersetzung: der Verfasser; im Weiteren Bird 2018)

[13] Zit. nach Bird 2018, S. 301.

[14] Atkins, E. Wulstan: The Elgar-Atkins Friendship. London 1984. S. 417.

[15] Vgl. Moore 1984, S. 785.

[16] Moore 2012, S. 482.

[17] Ebd.

[18] Siehe ausführlich dazu: Moore, Jerrold Northrop: Elgar on Record. The Composer and the Gramophone. London 1974. S. 115.