Scenes from the Saga of King Olaf, op. 30


 

Nachdem Elgar 1893 die Uraufführung seiner Kantate „The Black Knight" glücklich überstanden hatte, lud ihn der Dirigent Dr. Charles Swinnerton Heap ein, ein Chorwerk für das von ihm gegründete und 1896 erneut stattfindende North Staffordshire Music Festival zu komponieren, das „full length" - also abendfüllend - sein sollte.

Elgar fühlte sich geschmeichelt, wandte sich indes erst einmal anderen Aufgaben zu. Auf Anraten seiner oft am Praktischen orientierten Frau Alice komponierte er während des Jahres 1894 zunächst eine Reihe von Part-Songs, da diese sich im chorbegeisterten England jener Jahre gut verkauften und die eher spärliche finanzielle Basis der Elgars stets Aufbesserung vertragen konnte. Es entstand eine Reihe von Chorliedern und - als unmittelbarer Reflex auf den gemeinsamen Urlaub in Garmisch in diesem Jahr - die kleine Sammlung „From the Bavarian Highlands".

Zu Beginn des Jahres 1895 beschäftigte Elgar die Fertigstellung seiner Orgelsonate für Hugh Blair, den Organisten an Worcester Cathedral, die er am 3. Juli fertigstellte. Bereits im Frühling hatte er einen Kompositionsauftrag für das im darauffolgenden Jahr stattfindende Worcester Festival bekommen. Ein geistliches Werk sollte es sein. Elgar bat den anglikanischen Reverend Edward Capel-Cure um ein Libretto und wählte aus den drei Vorschlägen, die dieser ihm zukommen ließ, die Geschichte von der Heilung des Blinden durch Christus aus. Es entstand seine erste große geistliche Komposition: „The Light of Life".

Im Oktober fragte Swinnerton Heap erneut an. Elgar hatte sich mittlerweile für Longfellows „Scenes from the Saga of King Olaf" als Stoff entschieden, setzte sich nun umgehend an den Schreibtisch und stellte den Klavierauszug bereits am 21. Februar 1896 fertig.

Die Uraufführung am 30. Oktober 1896 stand nicht unter einem guten Stern. Der Tenor Edward Lloyd war zu keiner der Proben aufgetaucht und hatte darum streckenweise mit der Partie zu kämpfen. Der junge Komponist Havergal Brian, der im Publikum saß, erinnert sich:

„Die Aufführung war an einem kalten Oktobermorgen. Ich war mit zwei Bekannten da, die ich mit meinem Enthusiasmus angesteckt hatte. Meodora Hensons sang die Sopran-Partie, Edward Lloyd war in bester Form und Ffrangcon Davies war ein gutaussehender Bursche mit einem wuscheligen Haufen von lockigem Haar. Der Konzertmeister war Willy Hess. Der unbekannte Elgar trat in einem hellen Wollanzug auf, um sein Werk zu dirigieren, und er war offensichtlich angespannt und nervös. Als Lloyd die Zeile „And King Olaf herad the cry" sang, ging etwas daneben und Willy Hess sah, dass Elgar daraufhin aus dem Konzept kam. Hess sprang auf und hielt das Ganze durch seine Präsenz und seinen Bogen zusammen. Er hat den „King Olaf" gerettet. Elgar hat mir Jahre später gestanden: 'Wäre Willy Hess nicht gewesen, die Aufführung wäre ein einziges Fiasko geworden.'" [zit. nach Northrop Moore, Jerrold: Elgar. A Creative Life. Oxford 1987. S. 217; Übers. der Verf.]

Und doch: "King Olaf" war ein Erfolg, wurde schnell allerorten gespielt und machte Elgar in ganz England bekannt.
Heute wird das Werk kaum gegeben, tatsächlich ist es auch als letztes der großen Werke Elgars eingespielt worden, und zwar erst im Jahre 1985. Seitdem ist es bei dieser Einspielung geblieben.

Robin Holloway schreibt zu diesem Phänomen im Cambridge Companion to Elgar (2004):

„Es ist nicht leicht, den Schmerz hinzunehmen, den der Verlust so vieler ehemals lebendiger Musik mit sich bringt, die entweder durch Zeit und Veränderung von uns getrennt wurde oder durch ihre Verkapselung in tote Genres und ihre antiquierte Vorstellungswelt. Offenkundig wichtige Musik, ja manchmal sogar große Musik ist von ihrer Verwurzelung in sozialen, öffentlichen oder religiösen Zusammenhängen abgetrennt und wird lediglich auf artifizielle Art und Weise bewahrt - speziell mit Hilfe der technisch einwandfreien CD. Irgendwo in diesem Bereich defunktioneller Musik existieren die vor dem „Gerontius" entstandenen Chorwerke. [...] Doch eben diese Werke, die insgesamt Meilensteine auf dem Weg eines großen Komponisten zum Höhepunkt seiner Fähigkeiten sind, von denen keines gänzlich unbedeutend ist und von denen einige sogar von offenkundiger Inspiration zeugen, werden im Großen und Ganzen vernachlässigt. Dass man sie alle eingespielt hat, belegt meine oben genannte These. Die Einspielung ist ein Akt der Exhumierung, nicht Zeugnis einer lebendigen Aufführungstradition, sondern Zeugnis eines Musikerlebnisses, das man überall haben kann, nur nicht dort, wo sein eigentlicher Ort ist: im Konzertsaal." (S. 63, Übers. der Verf.)

Als Grund für diese Mumifizierung führt Holloway zwei Faktoren an, die für das Desinteresse an den frühen Chorwerken verantwortlich scheinen: die schlechten Libretti und die altmodische Gattung. Und dennoch macht man es sich - so Holloway - mit der Abqualifizierung der Werke aufgrund dieser beiden Punkte zu einfach, denn:

„Diese Vorwürfe kann man nicht ignorieren, man kann sie allerdings umgehen. Denn trotz der gegenwärtigen Tendenz innerhalb der Musikwissenschaft, die Bedeutung des Textes auf die Ebene seiner musikalischen Verwertung zu heben, ja manchmal sogar über diese hinaus, ist es eine Tatsache, dass Vokalmusik aller Genres seit der Abwertung biblischer oder religiöser Texte viel häufiger einen Akt des Überkommens von Holprigkeit, Geschmacklosigkeit und Banalität darstellt, denn eine Ehe verwandter Seelen." (S. 63, Übers. der Verf.)

Weg von einem Primat des Textes also hin zu einer (unverstellten?) Bewertung der musikalischen Leistung: Dies ist nicht nur in Sachen Elgar Holloways These.

Natürlich ist das nicht einfach, vielleicht ist es auch nicht möglich, aber - da kann ich Holloways Argumentation nachvollziehen - es ist kaum verständlich, warum das Newman'sche Libretto zum "Gerontius" weniger grauenerregend sein soll als die Texte von Capel-Cure, Longfellow (Halloway spricht hier nicht zu Unrecht von „more 'professional' trash") oder Shapcott Wensley.
Wichtig ist doch - so Holloway - nur eines, nämlich

„die Überzeugungskraft für den Komponisten und die Intensität seiner Reaktion auf den Text: Wenn dieser echte innere Aufladung beim Komponisten erzeugt, so wird ein schäbiger Text schlicht weggewischt. [...] Was mir sicher scheint, ist die [dem "Gerontius" gegenüber, Anm. der Verf.] größere Frische und formale Freiheit. Sie sind noch nicht befangen, sondern, in den Grenzen ihres Genres und ihres kulturellen Hintergrundes, wunderbar überschwänglich, ungekünstelt von Herzen kommend, kunstfertig ohne dies zur Schau zu stellen und von leidenschaftlicher und üppiger Musikalität. Sie sind zentrale Hervorbringungen eines Komponisten, der in einer ihm - überraschenderweise - Raum bietenden Umgebung - seine Flügel spreizt." (S. 64, Übers. der Verf.)

Natürlich ist dieser enthusiastische Einsatz für das frühe Chorwerk Elgars schön zu lesen, doch man kann einfach nicht daran vorbeihören, dass der Text zum „King Olaf" doch durch und durch mäßig ist, so mäßig, dass schon die mit Elgar befreundete Schulleiterin Miss Rosa Burley (sie leitete die Mädchenschule „The Mount" in Malvern) ihre Schwierigkeiten damit hatte:

„Ich muss gestehen, dass meine Hoffnung schwand, als ich begriff, dass Longfellow erneut als Librettist herhalten sollte. Die Lektüre des Gedichtes ermutigte mich ebenfalls nicht. Olaf ist eine fürchterlich undurchsichtige Geschichte, in der es weder einen ordentlichen Charakter noch eine griffige Handlung gibt." (zit. nach Northrop Moore, Jerrold: Elgar. A Creative Life. Oxford 1987. S. 184. Übers. der Verf.)

Doch Elgar war Feuer und Flamme für seinen Stoff. Gründe dafür mögen - so vermuten es Kennedy und Moore - persönlicher Natur gewesen sein, die sich aus der folgenden Koinzidenz ergeben. Longfellows „Saga" war Teil seiner „Tales of a Wayside Inn", die er an Chaucers „Canterbury Tales" angelehnt hatte. Unterschiedliche Charaktere treffen in einem Gasthaus aufeinander und erzählen sich Geschichten. Die Hauptfigur ist ein nordischer Geiger, der dann schließlich die „Saga of King Olaf" vorträgt. Elgar erkannte sich - so Moore und Kennedy - eventuell wieder, schließlich war er selbst Geiger und sein Nachname leitete sich aus einer nordischen Sprache, nämlich von dem angelsächsischen Begriff Ælf-gar ab, was so viel wie „Feen-Speer" bedeuten sollte.


Doch wie es auch sei: Die Umarbeitung des Longfellowschen Originals bereitete Elgar Probleme. Der Zufall wollte es, dass sein Nachbar Henry Acworth bereits als Herausgeber indischer Gedichte aufgetreten war und ihm seine Hilfe bei der Bearbeitung des Textes anbot. Elgar und Acworth kürzten die 22 Teile umfassende Dichtung, wobei es Elgars Wunsch war, im speziellen jene Stellen herauszunehmen, die Olafs Brutalität hervortreten ließen. Dies entsprach nicht seinem Bild von dem idealen (christlichen) Helden Olaf. Des Weiteren schrieb Acworth eine Reihe von Passagen um, sodass am Ende jenes Libretto herauskam, das Micheal Kennedy kurz und knapp als „dreadful" beschreibt.

Tatsächlich ist es nicht so, dass der Text für Elgar eine solide Inspirationsquelle dargestellt haben kann, da mag sich Halloway drehen und winden wie er will. Die mehr oder minder lockere Szenenfolge des „King Olaf" ist einfach gestrickt, der Text oberflächlich, die Figuren gewinnen kein Gesicht, einen wirklichen roten Faden muss man vermissen und die Dichtung selbst klingt oft nach einem Poeten dritter Klasse. Das ist schon bei Longfellow kaum zu ertragen - Acworths' Eingriffe machen es aber nicht eben besser.

Und dennoch ist die Musik nicht gänzlich uninteressant, da muss man Halloway wiederum Recht geben. Besonders berückend ist beispielsweise der Rahmen, mit dem Elgar sein Werk umfasst („There is a wondrous book / Of Legends in the old Norse tongue"). Elgar schafft eine düster-nordische Atmosphäre, einen förmlich Ossianschen-Ton, der zum einen Appetit auf das Folgende macht und zum zweiten aufgrund seiner evokativen Kraft die Frage aufwirft: Wie hätte eine Elgarsche Oper wohl geklungen?

Und packend geht es weiter. Die absteigende Chromatik, die menhirgleiche Klotzigkeit des großen dramatischen Chores „I am the God Thor" macht durchaus etwas her, besonders wenn man sich vor Augen hält, dass England dergleichen vorher noch nicht gehört hatte. Wuchtig, donnernd, blitzend, voller Kraft. Überhaupt sind es die Chorsätze, die beeindrucken. Elgar hatte es ja schon in „The Black Knight" gezeigt, dass er die Ausdruckskraft des großen Chores in Verbindung mit einem symphonisch besetzten Orchester zu nutzen verstand. Im „King Olaf" knüpft er genau an dieser Stelle an und liefert wirklich Beeindruckendes, wie beispielsweise die Balladen „The Wraith of Odin" („The guest were loud, the ale was strong") und „A little bird in the air". Das ist farbig, abwechslungsreich, für den Chor und das Publikum dankbar. Besonders hervor sticht jedoch „The Death of Olaf" und das großartige Ende („Epilogue"), das schon auf die großen goldfarbigen Klangballungen des „Nimrod" und der ersten Symphonie hindeutet. Der besondere Clou dieses Endes ist jedoch, dass Elgar im entscheidenden Moment auf das Orchester verzichtet und einen a cappella Chorsatz („As torrents in summer") vorstellt, um von hieraus die Schlusssteigerung zu beginnen. Am Ende steht jedoch erneut die düstere skaldenhafte Atmosphäre des Beginns, in deren neblige Vorzeitigkeit das Werk gleichsam wieder zurücksinkt.

Was Elgar allerdings auf breiter Front nicht gelingt, sind die Solopartien. Selbst zu Beginn („And King Olaf heard the cry") kling vieles hölzern, ohne rechten Sinn für Gesanglichkeit, natürliche Diktion und Stimmführung. Ganz deutlich wird das in den Frauenszenen. Drei Frauen, drei Situationen (Gudrun, die Olaf als Mörder ihres Vaters umbringen will; Sigrid, die er nicht haben will; Thyri, die er letztlich heiratet), ein Tonfall. Keine individuelle Zeichnung, anspruchslose Partien, öde Momente. Selbst das Liebesduett Olaf/Thyri ist nicht tief empfunden, sondern ausnehmend bieder. In der Gestaltung der Solopartien offenbart sich eine Schwäche des Komponisten.

 
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(c) Wolfgang-Armin Rittmeier